Die Geschichte vom Schweriner Hirngespenst - (k)ein Gruselmärchen
Es war einmal ein Land, schön gelegen an der Ostsee. Durch Handel und Wandel war es reich geworden und hatte in seiner Vergangenheit große Kirchen gebaut und große Schiffe und Häuser. In diesem Land lebten seit Menschengedenken viele brave Bürger und Bauern. Die Zeit verging, die Zeiten änderten sich. Nun wurden die Menschen regiert von Politikern, die früher einmal die Fürsten bekämpft hatten, nun aber selber in ein Schloss eingezogen waren. Dieses Schloss stand in Schwerin, einer kleinen Stadt an einem sehr großen See. Den Politikern gefiel es im Schloss, und so dachten sie sich, dass zu jedem Schloss auch ein Gespenst oder Poltergeist gehören müsste. Nun gab es dieses bereits, es hieß Petermännchen. Doch mit ihm war nicht mehr viel los, es war wohl in die Jahre gekommen.
So musste also ein neues Gespenst her. Da aber die moderne Zeit mit Autos und Flugzeugen angebrochen war, wollte sich partout kein altmodisches Gespenst einstellen. So kamen die Politiker auf die Idee des Hirn-Gespenstes. Sie dachten sich einfach eines aus! Und schon war es da! Dieses Hirngespenst erschien im Jahre 1994 zum ersten Male und war die Ausgeburt merkwürdiger Gedanken. Die Politiker damals dachten nämlich, dass Kunst und Kultur im Lande nur stören würden; die Untertanen seien mit gutem Essen und viel Unterhaltung zur Ablenkung viel besser zu regieren. Deshalb beschlossen sie gemeinsam mit ihrem Hirngespenst, das Geld für die Theater und Orchester des Landes lieber einzusparen. Wegen des knappen Geldes mussten schon bald viele Musiker und Schauspieler und Sänger und Theaterleute das Land verlassen oder sich eine andere Arbeit suchen. Doch noch immer ging der Vorhang in den schönen alten Häusern auf, noch immer lachten die Kinder, noch immer hofften die Erwachsenen auf ein gutes Ende im alten Bühnendrama zwischen Gott und Teufel. Noch immer erklangen Geige und Trompete und rührten der Menschen Herz. Doch dann begann ein Unglück über das Land an der Ostsee hereinzubrechen. Keiner verstand es, denn die Menschen arbeiteten weiter fleißig, sodass sich die Kassen im Schloss jedes Jahr aufs Neue füllten und füllten. Und doch brach das Unglück über das Land herein. Es sollte nun noch mehr in den Theatern gespart werden, einfach so, weil die Politiker und ihr Hirngespenst es eben beschlossen hatten. Sie nannten diese Gemeinheit Theaterreform. Weil die Kinder und die Erwachsenen dieses böse Spiel der Politiker aber nicht verstanden und zu murren begannen, wurde im Schloss nochmals Rat gehalten. Das Hirngespenst des Kaputtmachenwollens sollte einen Nebelzauber bewirken, und so ließ es immer und immer wieder im Land das Gerücht ausstreuen, dass kein Geld für die Theater und Orchester da sei. Die vielen fleißigen Leute aber hatten brav ihre Steuer bezahlt und wussten es daher besser und gingen endlich auf die Straße. Inzwischen hatte sich das Hirngespenst aber in den Rathäusern des kleinen Landes umgesehen und dort zu seiner großen Freude den einen oder anderen leeren Kopf angetroffen. Also ließ es sich darin für eine Weile nieder, bis der Träger dieses Kopfes ganz berauscht war von der Vorstellung, Geld auf Teufel komm raus zu sparen und die Theater dafür kaputt zu machen. Das Volk aber schrieb unterdessen Briefe an die Politiker im Schloss, besuchte diese sogar, bat, forderte, wollte wissen, warum dies alles geschehen musste. Geld war doch da, und Theaterbesucher gab es zu Hunderttausenden im Jahr. Es half alles nichts. Wegen des Hirngespenstes aus dem Schweriner Schloss wurde mit der Zeit aus dem schönen Land ein trauriges Land, man kann auch Provinz dazu sagen. In anderen Städten und Ländern schüttelte man den Kopf über das, was in dem schönen grünen Land an der blauen Ostsee geschah.
So geht es noch immer fort und fort, meinst du? Aber nein, das Gruselmärchen nähert sich seinem Ende!
Das Hirngespenst aus dem Schweriner Schloss hat nämlich seinen Schrecken verloren. Sein Zahlenzauber wirkt nicht mehr. Die Menschen verscheuchen es gerade aus ihren Köpfen und Städten und beginnen, sich mit vielen guten Dingen auszustatten. Mit diesen im Gepäck ziehen sie dem Gespenst entgegen und haben gar keine Angst. Hör genau hin, dann hörst du sie reden und singen und lachen! Worüber sie lachen? Nun, als das Hirngespenst vor kurzem einem kleinen Kind auf einer Spielstraße begegnete, verriet es mit böse-verschmitztem Gesicht dem Kleinen seinen Plan. Es habe genug von dem schlechten Theater im Schweriner Schloss. Die immer gleichen Gesichter mit den immer gleichen Ausreden, das sei ja sterbenslangweilig! Kein Humor, keine Phantasie, nicht mal gedankenhelle Sparpläne seien dort aufzufinden. Das reiche ihm jetzt. Daher habe es folgendes beschlossen: Es werde die Politiker demnächst ganz einfach- weg sparen.