Das Interview: Karlsruhes Generalintendant Peter Spuhler über seinen Start im Staatstheater, Qualitätssicherung und Intendantenmodelle
Stefan M. Dettlinger (MM) im Gespräch mit Peter Spuhler
Mannheimer Morgen, 19.07.2012
„Das System, das er in Heidelberg prägte, wurde bisweilen auch einfach Spuhler genannt. Spuhler - das heißt: überall sein, alles machen und ausprobieren, an allen Fronten für das Theater, seine Qualität und sein Renommee kämpfen. Seit einem Jahr ist Peter Spuhler nun Generalintendant des Badischen Staatstheaters - Grund für einen Austausch.
MM: Herr Spuhler, was macht Ihre Müdigkeit nach einem Jahr Kampf um neues Theater in Karlsruhe?
Peter Spuhler: Wir setzen sie produktiv um und bringen in unserer Reihe philosophischer Texte den Essay "Müdigkeitsgesellschaft" von Byung Chul Han auf die Bühne. Sonst: Nach der Premiere ist vor der Premiere.
MM: Müde scheinen Sie also nicht zu sein. In unserem letzten Interview vor Ihrem Weggang hatten Sie durchaus Befürchtungen in Bezug auf Karlsruhe als Beamtenstadt. Sind sie eingetroffen?
Spuhler: Das Karlsruher Publikum ist tatsächlich anders als das Heidelberger und das Tübinger, aber mitnichten weniger herzlich. Aufgrund einer umfassenden Besucherumfrage wissen wir: Wir sind ein echtes Volkstheater. Wir erreichen alle Schichten und sind kein Theater der Intellektuellen und Reichen. Das finde ich bemerkenswert. Wir haben aber durchaus ein Altersproblem der Zuschauer, vor allem im Konzertwesen. Durch das Fehlen eines Jungen Staatstheaters bis 2011 hat es über Jahrzehnte keine Aufbau- oder Verjüngungsarbeit gegeben. Es gibt kein Schülerabo! Da sind wir noch in einem Prozess des Kennenlernens.
MM: Inwiefern reden Sie als Generalintendant, der künstlerische und ökonomische Befugnisse hat, den Spartenleitern in ihr künstlerisches Konzept hinein?
Spuhler: Durchaus, wenn ich es für nötig halte. Wir haben eine Eigenart: Jedes Gastteam stellt den Spartenleitern und mir vor der Bauprobe das Konzept vor. Dann diskutieren wir gemeinsam. Spielplan und Künstlerengagements, vor allem für die festen Stellen, tätigen wir einvernehmlich. Ich beanspruche aber nicht, dass das das beste aller denkbaren Systeme ist. Es ist mein System. Die Spartenleiter reden aber auch viel untereinander. Der spartenübergreifende Austausch, der immer Ziel ist, aber in der Praxis oft zu kurz kommt, ist mir ein großes Anliegen.
MM: Ist das nicht normale Qualitätssicherung und überall so?
Spuhler: Nein, ich denke, eine Konzeptvorstellung noch vor der Bauprobe - also ein Termin, zu dem das Regieteam extra anreisen muss - gibt es eher selten. Das ist ein Versuch, sich frühzeitig zu verständigen, wohin die Reise geht - und damit auch, wenn Sie so wollen - Qualitätssicherung. Aber es ist keine Garantie für Erfolg. Es gibt dennoch missglückte Produktionen, aber auch die, über die man sich freut.
MM: Mannheim diskutiert gerade darüber, ob es vom Modell Generalintendanz weggeht und das sogenannte Stuttgarter Modell umsetzt. Ist das Modell wichtig, oder sind es die Personen?
Spuhler: Die Personen sind wichtig. Ich habe natürlich Ihr Pro und Contra gelesen. Das Spartenintendanten-Modell kann funktionieren, wenn es die richtige Personenkonstellation ist. Auf die kommt es an. Beide Modelle haben Vor- und auch Nachteile. Die Frage ist, will man die derzeitigen Akteure halten (dafür spricht einiges, ihre Verdienste, aber auch Theater der Welt und die Kulturhauptstadtbewerbung). Aber ich möchte mich ausdrücklich nicht in diese Mannheimer Angelegenheit einmischen - ungefragter Rat hat immer etwas Unangenehmes.
MM: Gefragt habe ich Sie ja. Aber egal: Wie sieht Ihre persönliche Bilanz nach einem Jahr Karlsruhe aus?
Spuhler: Wir haben viel Schönes erreicht, einiges ist aber auch total misslungen - da ist wirklich noch Luft nach oben. Aber: Wir haben weitgehend frische und vielfältige Inszenierungshandschriften gezeigt und arbeiten mit sehr starken Ensembles. Wir hatten einen Rekord bei den Händelfestspielen, tolle Europäische Kulturtage und ein bemerkenswertes Orchesterjubiläum. Übrigens: Zuschauer- und Abonnentenzahlen konnten wir ungefähr halten, wie es derzeit aussieht. Das ist doch etwas angesichts des Programms mit vielem Unbekannten.
MM: Zu viel und überall das Gleiche - so lautete der mittlerweile vielzitierte Tenor des Buchs "Kulturinfarkt". Dass man sich als Generalintendant darüber ärgert, ist klar. Aber denken Sie in Ihrem tiefsten Inneren manchmal: So ganz unrecht haben die ja nicht?
Spuhler: Da kann ich ganz klar und direkt antworten: Der Gedanke "so unrecht haben die ja nicht" ist mir noch keinen Moment gekommen. Mannheim - schauen Sie aufs Schauspiel oder die Oper - macht nun wirklich ganz andere Sachen als Karlsruhe oder Stuttgart, jedes Haus hat ein klares Profil. Selbst wenn diese drei Theater das Gleiche machen würden: Wo läge das Problem! Wir machen Theater für die Menschen unserer Region! Wer könnte problemlos 100 Kilometer ins Theater fahren? Reiche Erwachsene, die Zeit haben. Und was ist mit Kindern, Jugendlichen, Senioren, Geringverdienern, Vielbeschäftigten? Dürfen die nicht ins Theater gehen?"